#70 Wofür schlägt dein Ostblockherz, Didi Drobna?

Shownotes

In ihrem neuen Buch “Ostblockherz” (erschienen bei Piper) beschreibt die Autorin Didi Drobna ihr kompliziertes Verhältnis zum Vater, der schwer erkrankt ist. Er spricht noch immer kaum Deutsch, sie selbst kaum noch Slowakisch. Sprachlosigkeit und Schweigen, Heimat- und Statusverlust sind nur einige Themen, die sich durch das Buch ziehen und damit die Erfahrung vieler Menschen in Österreich beschreiben, egal ob sie hier geboren und aufgewachsen, oder neu angekommen sind.

Transkript anzeigen

00:00:05: Herzlich willkommen bei Aufnahme Bereit, dem Podcast für ankommende und aufnehmende in der modernen Migrationsgesellschaft.

00:00:12: Sie hören diese Episode nicht nur auf den Podcast-Playern ihrer Wahl, sondern auch auf Radio Orange.

00:00:40: die Autorin von Ostblockherz, das vor kurzem im Pieperverlag erschienen ist.

00:00:45: In diesem Roman beschreibt, die die Drobner ihr mit unter kompliziertes Verhältnis zum Vater, der schwer erkrankt ist.

00:00:53: Er spricht nach seiner Migration nach Österreich noch immer wenig Deutsch.

00:00:58: Sie selbst aber spricht kaum mehr Slowakisch.

00:01:01: Und diese Sprachbarriere, um die es im Buch geht, die ist noch eine von vielen Barrieren, die sich durch den Roman ziehen und sich somit auch diesen großen Fragen von Heimat, von Zugehörigkeit und von Verlust annähern.

00:01:15: Ja, liebe Didi, schön, dass du heute mein Gast bist.

00:01:17: Herzlich willkommen im Podcast.

00:01:18: Danke schön.

00:01:19: Danke für die Einladung.

00:01:21: Ich möchte gleich mit einem aus meiner Sicht Kernthema deines Romans beginnen.

00:01:25: Das ist aus meiner Sicht diese Sprachlosigkeit.

00:01:28: Und das beginnt ganz im Kleinen, im familiären, die Sprachlosigkeit zwischen Vater und Tochter, die sich eingestellt hat.

00:01:35: Einerseits, weil die jeweilige Sprache, in der sich der Vater oder eben die Tochter am wohlsten fühlt oder sich vielleicht agilsten bewegen kann, unterschiedliche Sprachen geworden sind über die Zeit dauer, weil die Tochter auch jetzt nicht nur Deutsch gelernt hat, sondern vor allem einen massiven Bildungsaufstieg hinter sich gebracht hat und sich auch in teilweise anderen gesellschaftlichen Teilbereichen bewegt, als es der Vater je getan hat.

00:02:04: Und dadurch zeigt sich auch diese Sprachbarriere, die Verständigungsbarriere, ist ja mehr als nur, was ist meine Erstsprache oder meine Herzensprache, wo ich mich ein leichtesten.

00:02:13: Sondern es ist auch eine generelle, vielleicht kulturelle und auch persönliche Verständigungsfrage, die sich dann äußert in vielen Episoden in einem Schweigen oder in einer Sprachlosigkeit, also viel Unausgesprochenes, dass man aber als Leser als Leserin fand, ich ... zwischen den Zeilen sehr laut Tönen hört, diese Sprachlosigkeit.

00:02:38: Ohne das jetzt gleichsetzen zu können, ich kenne eine ähnliche Sprachlosigkeit auch bei meinem Vater, kein Migrationshintergrund, aber Arbeiterhintergrund.

00:02:46: Also dieses Patriarchale, das sich dann manchmal im ganz lauten Aggressiven, aber dann, wenn es vielleicht um emotionale Fragen geht, im Ignorieren, im Aussparen, im Schweigen äußert, war das auch eines der Themen, dass dich dahin getrieben hat zu diesem Roman oder das so stark war auch, dass dann dieser Text heraus entstanden ist?

00:03:09: Definitiv.

00:03:11: Die Sprachlosigkeit im Roman besteht aus sehr vielen Nuancen.

00:03:17: Da spielt die Migration rein, da spielt die Generation rein, die soziale Klasse und all diese Dinge.

00:03:24: Mein Vater ist dann natürlich keine Ausnahme.

00:03:27: Er ist ein Mann einer bestimmten Generation, einer bestimmten Männergeneration und die sind relativ eng geschnürt, was ihr ihnen Leben angeht.

00:03:38: Sie tun sich schwer über emotionale Dinge zu sprechen.

00:03:40: Sie haben das gar nie gelernt und das habe ich erst mit der Zeit verstanden.

00:03:46: Und gleichzeitig ist er natürlich auch ein Kind seiner Zeit eines autoritären kommunistischen Regimes, wo kein Platz war, über mehr als das Wesentliche zu sprechen.

00:03:58: Und dort, wo er herkommt, also die ehemalige Tscheche aus Slowakei heute, die Slowakei.

00:04:04: Und die Zeit, aus der er kommt, da ging es um ganz andere Dinge.

00:04:07: Das Regime hat die Bürger und Bürgerinnen verstanden vor allem als Arbeitskraft.

00:04:12: Alles was vom Mainstream abwich, war schlecht.

00:04:15: Da gab es keine großen Entfaltungsmöglichkeiten.

00:04:18: Und unter diesen Bedingungen aufzuwachsen, das macht ja etwas mit den Menschen.

00:04:24: Und da würde ich dich an einer Stelle korrigieren.

00:04:27: Mein Vater ist nämlich mehrfach Akademiker und meine Mama auch.

00:04:32: Also ich komme aus einem Akademikerhaushalt, aber aus einem, würde ich sagen, Akademiker, Gastarbeiterhaushalt.

00:04:41: Sie haben... Sie haben die akademischen Abschlüsse erworben und sind dann in den Westen aufgebrochen und haben wieder bei Null anfangen müssen.

00:04:49: Und die Zeit, in der sie nach Österreich gekommen sind, die ganz frühen neunziger Jahre, also nach dem Fall des eisernen Vorhangs, da sind recht viele Menschen endlich in den Westen aufgebrochen, weil sie das erste Mal überhaupt konnten.

00:05:01: Das war ja vorher gar nicht möglich.

00:05:03: Da stand die Staatspolizei sofort vor der Tür, wenn man auch nur den Gedanken geäußert hat, dass man weggehen möchte.

00:05:09: Das war ja alles sehr repressiv.

00:05:11: Und sie kamen nach Österreich und mussten bei Null anfangen.

00:05:15: Und die Abschlüsse wurden nicht anerkannt.

00:05:17: Und ihre Qualifikationen wurden nicht anerkannt.

00:05:20: Und so ging es ihnen wie vielen anderen Menschen.

00:05:23: Und sie mussten in Anführungszeichen minderen Jobs anfangen und waren sich natürlich nicht dafür zu schaden.

00:05:30: Und haben mir aber genau das mitgegeben.

00:05:33: die Bildung so unfassbar wichtig ist.

00:05:36: Ich habe aber auch gleichzeitig bei Ihnen gesehen, dass selbst die Bildung einer in bestimmten Situationen nicht retten kann.

00:05:41: Und das war, glaube ich, das, was meinen Vater auch ... irrsinnig belastet hat, dass er ja alles richtig gemacht hat.

00:05:49: Er hat die Schule gemacht, er hat die Uni gemacht, er hat erfolgreich in Jobs gearbeitet.

00:05:54: Aber im Westen wurde das nicht gesehen.

00:05:56: und das Paradoxe daran ist ja, dass das gefühlt alle fünf Minuten irgendein Politiker Händeringen sagt, wir brauchen die qualifizierten Ausländerinnen, wir brauchen qualifizierten Zuzug und da kamen meine Eltern daher und wurden ignoriert.

00:06:14: Und das ist unfassbar verletzend und auch wirtschaftlich einfach eine vertane Chance, eine super vertane Chance.

00:06:20: Und das passiert ja heute auch noch im ganz großen Stil.

00:06:22: Das

00:06:22: passiert nach wie vor, genau.

00:06:24: Das hat sich leider nicht so viel geändert.

00:06:26: Das stimmt ja.

00:06:27: Also du hast schon auf diesen großen Widerspruch hingewiesen, der sich zeigt da in der politischen Rhetorik über Migration oder über qualifizierte Zuwanderung auf der einen Seite und über die Realität vieler qualifizierten Zuwandererinnen, die dann vor diesem wahnsinnig mühsamen bürokratischen Anerkennungsprozess ihrer im Ausland erworbenen Qualifikationen stehen, wo wir eigentlich immer noch, ich meine, es gab über die Zeit wahrscheinlich kleinere Reformen hier und da, aber grundsätzlich hat sich in diesem schwerfälligen System in den letzten zwanzig, dreißig Jahren wenig verändert, auch auf europäische Ebenen nicht.

00:07:02: Und da könnte man schon ein bisschen provokante Frage stellen, was nützt uns Eine Öffnung in Richtung qualifizierter Zuwanderung, wenn dann die Leute hier die Qualifikationen, die sie haben, nicht anwenden können.

00:07:14: Und da eben auch diesen starken, würde ich sagen, ja eigentlich ist es eine Form des gesellschaftlichen Abstiegs, weil es eine Verlusterfahrung ist, nicht?

00:07:22: Also eine Abwertung nicht nur... der beruflichen Abschlüsse, die ich habe, die ich nicht mehr hier einbringen kann, sondern eine Abwertung auch meines sozialen Statuses, den ich genossen habe und meines beruflichen, den ich hatte im Herkunftsland, weil ich da nicht mehr anschließen kann.

00:07:39: Also deshalb ist eigentlich zwei... Biografien fast, die sich dann auftun.

00:07:43: Einerseits Akademiker, Haushalt, das dem du kommst, aber gleichzeitig auch die Erfahrung hierzulande als sogenannte Gastarbeiter.

00:07:51: Mit ganz vielen, wie du auch beschreibst, die Gelegenheits-Jobs, die dann aufkommen und so weiter.

00:07:56: Bisschen auch interessant die Unterschiede, dass die Migrationserfahrung deiner Mutter ein wenig anders zu sein schien, auch in der Art, wie sie sich dann verorten konnte in Österreich, als die des Vaters.

00:08:06: Und natürlich aber gleichzeitig, das Thema haben wir heute noch bei aktuellen Migrationsbewegungen, vor allem für die Männer dieser Autoritätsverlust, schwieriger zu vereinbaren ist, vielleicht mit dem eigenen Selbstbild, das man hat oder das man halt gerne aufbauen würde.

00:08:22: So ist das ja.

00:08:22: Ich glaube, das spielen dann auch soziologische und genderfragen hinein.

00:08:26: Also gerade Männer dieser Generation, aber auch Männer heute wachsen ja mit einem relativ starren Männlichkeitsbild auf, sondern die Provider, die der Familie sein und verstehen das meistens als ökonomische wirtschaftliche Versorgung, dass es vielleicht auch eine emotionale Versorgung der Familie gibt.

00:08:46: Das kommt jetzt langsam so an.

00:08:48: Aber bei meinem Vater war es so, dass er irrsinnig darunter gelitten hat, dass er diese Rolle als wirtschaftliche Versorgung nicht mehr so.

00:08:55: leisten kann für unsere Familie.

00:08:57: Und das hat ihm immer mehr und mehr zu schaffen gemacht.

00:09:01: Und irgendwann hat er schlussendlich einfach auch aufgegeben und hat es nicht weiterprobiert, hat das gemacht, was getan werden musste, um das Überleben der Familie zu sichern.

00:09:11: Und meine Mutter war hier, wie es auch viele andere Frauen, die migrieren, war hier.

00:09:17: stärker sie hat mehr Resilienz gehabt, sie hat einen einen größeren Willen gehabt und hat einfach gesehen, okay, sie muss das jetzt irgendwie durchbeißen und eine neue Karriere starten.

00:09:27: Das hat sie auch gemacht und da hat sie sich dann über die fünfundzwanzig Jahre gut hoch gearbeitet.

00:09:32: War aber nie dort, wo sie hätte sein können, hätte sie mit ihren akademischen Abschlüssen starten können.

00:09:39: Meine Mama war zu Hause in der alten Heimat, EU-Professorin und ja, das ist sie hier einfach nie gewesen.

00:09:48: Ich fühle mich so stark erinnert an eine Studie, die ich mit Kollegen vor kurzem unter einer ganz anderen anderen quasi Migrationsgehorte durchgeführt habe unter syrischen Geflüchteten, wo viele dieser Themen halt natürlich mit einer anderen Schlagseite aber dennoch aufgekommen sind und wo sich schon zeigt, dass diese geschlechter Aufteilung, dass man sagt, sämtliche Diskriminierungsformen treten sozusagen heftiger bei Frauen auf, gepaart mit Migration nicht zu ganz halten.

00:10:20: Weil einerseits diese Autoritätsverlust und diese Identitätsveränderung oder Wandel, den man durchmacht, tatsächlich bei Männern oft viel fraganter ist.

00:10:30: Weil wenn die Erwerbsarbeit wegbricht, dann bleibt oft sehr, sehr wenig über, weil es immer noch für gewisse Männer aus gewissen Generationen Wenig eine Option ist, dann Sorgearbeit stattdessen zu machen.

00:10:41: Es gibt Ausnahmen und so weiter, aber große Mode.

00:10:43: Und bei den Frauen ist das immer noch ein wichtiger Teil der Identität.

00:10:48: Und dadurch äußert sich dieser Abstieg dadurch, dass ich Job verliere, dass ich hier irgendwie nicht so Teil der Gesellschaft bin, dass ich mir sehr schwer tu, ins Erwerbsleben zu kommen.

00:10:59: können interessanterweise dann Frauen, die in der Sorgearbeit viel wesentlich oder mehr aktiv sein müssen, besser offenbar für sich verarbeiten, weil sie diesen Anteil der Identität noch haben.

00:11:10: und der wird eigentlich sogar dringlicher, weil die Kinder brauchen eine noch mehr nach Erfahrung von Flucht, Migration und so weiter.

00:11:17: Und das hat dann in dem Fall auch positive Mehrheit, das ist ein bisschen ambivalent natürlich.

00:11:22: Aber das zeigt sich schon.

00:11:23: und bei den Männern kommt da noch ein Punkt dazu und der würde mich auch interessieren, wie das bei deinem Vater war, dass die gesellschaftliche Zuschreibung an den migrantischen Mann... Mitunter vielleicht auch einen migrantischen Mann, der dann auch migrantisch aussieht, ja oder nein, eine andere ist als an die migrantische Frau.

00:11:41: Weil bei einem migrantischen Mann vielfach auch dieses vermeintliche Bedrohungsgefühl mitschwingt, ja, eine Exotisierung, eine Vorstellung auch gerade aus den, ich sag jetzt bewusst, ehemaligen Ostblockstaaten, ja, ein bisschen was gewaltvolles, aggressives, verherrmtes, wie auch immer, also Zuschreibungen, die dann mitunter es auch gar nicht leicht macht.

00:12:02: in die Gesellschaft hineingelassen zu werden.

00:12:06: Wie hat es deinen Vater, glaubst du, erlebt, aber auch dann für sich verarbeiten können?

00:12:11: über die Dauer?

00:12:13: Das ist eine interessante Frage.

00:12:16: Ich habe jetzt parallel während du die Frage gestellt hast, schon sehr aktiv überlegt, was ich darauf antworte.

00:12:22: Und ich glaube, dass Frauen hier grundsätzlich besser aufgestellt sind.

00:12:26: Da möchte ich dir zustimmen, weil sie von Hause aus mehrere Standbeinahe haben.

00:12:29: Das ist zum Beispiel Sorgearbeit, aber das ist auch die emotionale Stabilität, ich glaube auch... Das so tragisch es ist, dass Frauen sehr früh Erfahrungen der Unterdrückung und Ablehnung erleben müssen, macht sie resilienter später.

00:12:45: Männer sind sehr üblicherweise gewohnt, dass sie an erster gesellschaftlicher Position stehen.

00:12:50: Und wenn sie dann eine andere Situation erleben, haben sie den totalen Crash, weil sie das können sie dann oft nicht verarbeiten und tun sich Schwerfsorgearbeit aufzubeichen.

00:13:01: Bei meinem Vater war es auch so, er ist dann auf die Sorgearbeit in unserer Familie ausgewichen und hat das auch gut gemacht.

00:13:08: Aber die Schwierigkeit daran ist natürlich die gesellschaftliche Zuschreibung.

00:13:14: Also er war dann in den Neunzigern einer der wenigen Väter, die mich, als ich klein war, zur Schule gebracht hat, von der Schule abgeholt hat, später meinen Bruder zur Schule gebracht hat, abgeholt hat, zu diesen ganzen Aktivitäten mitgekommen ist.

00:13:28: und er war auf weiten Flur.

00:13:30: wirklich der einzige Mann und auf dem allerweitesten Flur der einzige migrantische Mann.

00:13:35: Und ich habe da schon als Kind beobachtet, dass das größte Problem war, dass es wenig Schnittmenge gab mit der einheimischen Bevölkerung.

00:13:44: Also es haben sich von Haus aus... alle von ihm fern gehalten, weil er wenig Deutsch gesprochen hat.

00:13:51: Und er hätte aber genau diese Gelegenheit, die er am meisten gebraucht, einfach Alltagssituationen, in denen er sein Deutschprobe fährt.

00:13:58: Und auch schwierig ist dieses... Vorauseilende gebrochen Deutschsprechen mit Ausländern und Ausländerinnen.

00:14:06: Das macht so viel kaputt.

00:14:07: Also die Leute kriegen das ja mit, wenn sie in Bauarbeitersprech angeredet werden und fühlen sich mindermittelt und haben dann erst, also dann machen sie erst recht so.

00:14:17: Und das habe ich wieder und wieder und wieder beobachten können.

00:14:20: Und das war eigentlich das Problem, dass es so wenige und so schlechte Berührungspunkte gab zwischen der Autochtonenbevölkerung.

00:14:28: und meinem Vater dem Ausländer.

00:14:31: Er wollte das ja unbedingt.

00:14:33: Aber es wurde ihm wirklich, die Möglichkeiten waren wenige.

00:14:38: Und wenn sie kamen, dann waren sie sehr von oben herab.

00:14:41: Und das ist einfach auch keine Art mit einem Menschen umzugehen.

00:14:45: Und irgendwann, also ich kann das auch mittlerweile sehr gut nachvollziehen, irgendwann macht man dazu, um sich auch ein bisschen zu schützen und entzieht sich, soweit es möglich ist.

00:14:53: Und das ist total schade.

00:14:55: Also... Das sind viele verpasste Chancen für auch bessere Integration.

00:15:01: Also es gibt ja auch ein bisschen eine Bringschuld der heimischen Bevölkerung.

00:15:04: Natürlich gibt es auch eine Bringschuld der Migrantinnen und Migranten, aber im besten Fall kommen beide Seiten aufeinander zu und das ist in der Vergangenheit nicht immer passiert.

00:15:15: Ich befürchte, es passiert in der Gegenwart auch noch viel zu wenig.

00:15:19: Wir haben wieder eine andere Studie vor kurzem durchgeführt und da haben total viele Menschen, die hier das mittlerweile eigentlich gut ausgebaute vorhandene Deutschkursangebot der Republik Österreich absolviert haben, also von Mellemal, haben ganz viele gesagt, naja, Genau das, was du gesagt hast, dieses Probefahren der Sprache, finde ich einen sehr schönen Begriff.

00:15:40: Das fehlt mir, weil ich kenn überhaupt keine Österreicher, die mit mir reden würden im Alltag.

00:15:43: und wo soll ich da meine Sprache üben.

00:15:46: Und dann kommt noch ein zweiter Effekt dazu, der jetzt nicht überraschend ist in einer diversen Stadt wie Wien, aber auch in einem Einwanderungsland wie Österreich.

00:15:55: Die Einstiegsjobs, die sich für viele Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung bieten, die sind eher in Sektoren und Branchen.

00:16:04: wo gar keine Österreicher arbeiten, weil die Österreicher machen die Arbeit nicht mehr.

00:16:08: Und dann sagen die Leute, na schön, dass sie mir jetzt Deutsch beigebracht hat, aber was ich eigentlich bräuchte, ein Bau, wer rumänisch, vulgarisch, ungerisch, polnisch, irgendwas anderes, aber nicht Deutsch.

00:16:18: Also, das ist jetzt eine Seite provizik, erklärt aber auch, finde ich, wie viele Systeme und Strukturen, die wir halt seit vielen Jahrzehnten hier haben in diesem Land.

00:16:28: überhaupt noch nicht abgestimmt wurden auf die Realität einer modernen Migrationsgesellschaft.

00:16:33: Schulsystem ist ein weiteres, glaube ich.

00:16:35: Also vieles, was wir da gerade politisch stark instrumentalisiert besprechen und manchmal auch in sehr verhetzender Sprache besprechen und so weiter.

00:16:43: und die ganzen Flüchtlingskinder, liegt eigentlich, glaube ich, daran, dass der Lehrplan die Strukturen, die wir haben, die Ressourcen, die wir haben, der Zugang zu Bildung, den wir haben, von einem mehr oder weniger sehr homogenen Bevölkerungsbild ausgeht.

00:17:02: Dass es eh nie in der Form gab, aber dass jetzt natürlich ehrlicherweise über die letzten fünfzig Jahre noch einmal heterogener geworden ist.

00:17:09: Und das kann eigentlich nicht funktionieren.

00:17:12: Und dann landet man aber schnell in der Ableitung, na ja, die Flüchtlinge sind schuld oder die Ausländer sind schuld, da ist man ja sehr schnell in diesem Land tatsächlich.

00:17:20: Aber man geht nicht an diese strukturellen Themen heran.

00:17:22: Das, was du jetzt doch gesagt hast, ist ja eines, wo viel rein spielt, nicht?

00:17:25: Also, er war zwar einer der wenigen migrantischen Väter, aber er war generell einer der wenigen Väter, die überhaupt dort zu sehen waren.

00:17:32: Verteutlicht ja für mich, dass das Patriarchat nicht nur eingewandert ist offenbar, aber die Diskussion wird so geführt.

00:17:40: Ich würde gerne noch einmal auf diese Verlustefahrungen zu sprechen kommen, weil das fand ich auch so einen starken Topos im Buch.

00:17:48: Und das deckt sich auch wieder sehr mit dem, wie wir in der Forschung sozusagen Migration verstehen, dass man ganz häufig in der ersten Generation wahrnimmt.

00:17:57: Da ist einmal viel Verlust damit verbunden.

00:17:58: Nicht nur Verlust der Sprache und der Heimat, sondern auch Verlust des eigenen Statuses, die man hatte in der Heimat, Verlust auch von viel.

00:18:07: Kapital- und finanziellen Ressourcen, weil man nicht mehr dort anknüpfen kann, wo man vielleicht war, ein gewisser Abstieg.

00:18:14: Vieles wird dann auch, und das kommt im Buch, finde ich, sehr, sehr deutlich vor, auf die nächste Generation projiziert.

00:18:20: Also die, die muss schon, am besten sind das Latteärzteanwälte oder sonstige.

00:18:24: Die hoffen

00:18:25: uns, dass die die Familie,

00:18:26: die dann den ganzen Druck natürlich bekommen, die ganzen Erwartungen, die an sie gehen, vor allem an die, wie du schreibst, die älteste Immigrant-Data, also die älteste Tochter in der Familie.

00:18:36: die alle schultern muss und auch gleichzeitig so ein bisschen älterne Satz manchmal für die jüngeren Kinder werden muss.

00:18:43: Aber die Verlustefahrung ist ja das eine.

00:18:47: Jetzt wird ich ja sagen, nicht nur wirtschaftlich gesprochen, weil wir in einer Wirtschaftsunni sind, sondern generell ist Migration sowohl für die, die diese Migrationsreise unternehmen, aber auch für das Aufnahmeland auch ein Zugewin.

00:19:04: Ich finde, da muss man im Buch ein bisschen genauer schauen, damit man einen Zugewind sieht.

00:19:07: Auch sozusagen bei deinen Eltern, aber natürlich auch insgesamt gesellschaftlich gesprochen.

00:19:13: Wo würdest du sagen, lag in deiner Familie vor allem dieser Zugewind.

00:19:19: Also das eine, denke ich, war natürlich auf jeden Fall das Regime hinter sich zu lassen, ganz klar.

00:19:25: Diese sehr herren, aber doch abstrakten Werte von Freiheit, leben zu können, spüren zu können.

00:19:31: Gibt es konkrete Reformen des Zugewins, wo du sagst, das hat auch viele Verlustefahrungen aufgewogen über die Zeit, auch für deinen Vater?

00:19:39: Ja, definitiv.

00:19:42: Aber das war auch so ein zweischneidiges Schwert im Nachhinein betrachtet.

00:19:47: Der größte Wunsch meiner Eltern, wie es meistens der größte Wunsch aller Eltern ist, auf dieser Welt, ist, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.

00:19:56: Und das war auch die Motivation, warum sie in den Westen aufgebrochen sind.

00:20:00: Und man muss sich das ja noch einmal in Erinnerung rufen.

00:20:03: Anfang der neunziger Jahre war die Welt wirklich eine andere.

00:20:06: Es gab kein Internet, es gab kein Social Media, es gab noch nicht einmal ordentlich Handys.

00:20:11: Also man konnte sich, man konnte die Informationen nicht abrufen.

00:20:14: Man ist wirklich ... ins Unbekannte hineingegangen.

00:20:18: Und da muss ich sagen, das muss man sich auch einmal trauen und diese Vision muss man haben, dass es irgendwo anders besser ist, ohne dass man es genau weiß, was hat man denn hinter dem eisernen Vorhang davon mitbekommen?

00:20:29: eigentlich gar nichts.

00:20:30: Man konnte es nur erahnen und hoffen, dass es klappt.

00:20:33: Und Sie haben das wirklich auf sich genommen aus dem Wunsch, dass Ihre Kinder es besser haben werden.

00:20:40: Und dabei wussten Sie gar nicht genau, was dieses besser sein soll.

00:20:43: Soll das jetzt wirtschaftlich sein, soll das politisch diese Freiheit sein?

00:20:47: soll das sozial gesellschaftlich sein?

00:20:51: wahrscheinlich alles gleichzeitig ohne dass sie es benennen konnten.

00:20:55: und sie sind ich glaube das ist ihre größte Freude im Leben dass sie das geschafft haben und dass sie das bei mir und meinem jüngeren Bruder sehen können dass wir wirklich ein gänzlich anderes Leben führen als sie es getan haben.

00:21:08: und zugleich ist das, glaube ich, auch mit viel Wehmut bei Ihnen verbunden, weil Sie natürlich tagtäglich zu sehen bekommen haben, dass wir es in vielen Punkten anders und auch leichter haben und Sie natürlich wissen, mit welchen Kosten das für Sie verbunden war.

00:21:26: Und ich glaube, das ist so ein weinendes und lachendes Auge.

00:21:30: dass in vielen migrantischen Familien vorherrscht und was auch für Konflikte sorgt.

00:21:35: Weil natürlich will man ja, dass die Kinder mutig in die Zukunft davonzieht.

00:21:39: Man gibt ihnen ja diesen Auftrag, geh, du bist der Hoffnungsträger, die Hoffnungsträgerin, geh und erleb viele Abenteuer.

00:21:47: Und gleichzeitig möchte man die Kinder aber auch bei sich halten und möchte, dass die Werte bewahrt werden und die Traditionen und die Kultur und die alte Sprache.

00:21:55: Und das geht sich beides nicht aus.

00:21:57: Und ich glaube, da ergeben sich auch sehr viele Reibungsflächen zwischen den Generationen, zwischen den migrantischen Generationen, die das alles ein bisschen tricky machen, also auch in der Familie.

00:22:09: Und das ist eigentlich sehr spannend.

00:22:10: Und dem wollte ich eigentlich auch mit diesem Buch versuchen, irgendwie nahe zu kommen.

00:22:15: Das sind sehr viele Nuancen drin, über die man im Alltag gar nicht so genau nachdenken kann.

00:22:22: Wie glaubst du, hat dich diese... Erfahrung als Eldest-Immigrant dort geprägt.

00:22:27: Also einerseits habe ich den Eindruck, es hat dir wahrscheinlich sehr viel Ehrgeiz mitgegeben, sehr viel Ambition, die du auch in vielen Dingen verwirklicht hast.

00:22:36: Also als Autorin, du hast einen wahnsinnigen Bildungsaufstieg hingelegt, der auch mit einem sozialen Aufstieg einhergeht, du bewegst dich wahrscheinlich in ganz anderen Kreisen als deine Eltern, du hast Zugang auch zu ganz anderen Ressourcen und Möglichkeiten, du hast doch mittlerweile viel internationale Erfahrung, bist auch Gleichzeitig natürlich jetzt gesellschaftlich gesprochen in einer viel globalisierteren Welt dann aufgewachsen und konnte es aber vieles von dem auch wahrnehmen, jetzt nicht dass jemand, der der Globalisierung entworfen ist und ausgebeutet wird, sondern vielfach auch profitiert davon, als jemand, der in einem industrialisierten Land lebt, aber auch wirklich in diesem Land zu einer, kann man sagen, höheren gesellschaftlichen Schicht gehört.

00:23:15: Das war vielleicht auch aufgrund dieser Erfahrung, dass du dich durch Beißen musstest oder das durch vieles einfach von dem Versuch das einzulösen, was an Erwartung da war seit uns der Eltern.

00:23:25: Ich gehe davon aus, dass es aber auch Dinge gab, die anstrengend waren und noch immer anstrengend sind und die vielleicht auch erst über die Zeit so wirklich aufbrechen, weil es ist ja auch ein starkes Thema.

00:23:35: Ja, keine Frage.

00:23:36: Also die Sache mit den ältesten Immigrant-Daughters ist ja die, das ist ja ein relativ neuer soziologisch-psychologischer Begriff.

00:23:43: Die längste Zeit hat man da gar nicht so genau hingeschaut, generell auf migrantische Familien und die Positionen der Kinder und die Rollen der Kinder.

00:23:53: Und mittlerweile schaut die Forschung da eben genauer hin und es stellt sich heraus, dass diese Rolle der ältesten Tochter in einer migranten Familie ganz eine spezifische Rolle ist.

00:24:05: Und diese Mädchen und diese Frauen übernehmen sehr viele Aufgaben für ihre Familie, aber auch für die Integration.

00:24:11: Sie tragen sehr viele Hüte gleichzeitig.

00:24:13: Sie sind oft Ersatzmütter, Diplomatinnen, Übersetzerinnen, Vermittlerinnen, Krisenmanagerinnen, Hoffnungsträgerinnen sowieso.

00:24:23: Und das wird sehr, sehr früh auf viel zu junge Schultern abgeladen.

00:24:27: Das heißt, sie ... werden sehr schnell erwachsen.

00:24:31: Sie müssen sehr schnell erwachsen werden.

00:24:32: Sie müssen sehr viel Verantwortung für sich, für ihre Geschwister, aber auch auf die Eltern tragen.

00:24:38: Da kommt dann ein Mechanismus namens Parentifizierung zu tragen.

00:24:43: Also die Umkehr der Eltern-Kind-Rolle.

00:24:46: Oft sind die Kinder dann auch die Berater der Eltern oder oft auch die Therapeuten oder Partnerersatz.

00:24:52: Also da passieren ganz wilde psychologische Dinge.

00:24:56: Und die folgen dem einfachen Bewältigungsmuster von migrantischen Familien, die einfach viel zu hohem Druck ausgesetzt sind.

00:25:03: Also das muss man sich ja in Erinnerung rufen, ganz viele haben eine sehr lange Zeit, viele, viele Jahre oder vielleicht auch ihr ganzes Leben existenziellen Druck, also existenziellen Überlebensdruck wirklich die Familie durch den Tag zu bringen.

00:25:18: Und das führt dazu, dass die Eltern oft in so einem Ausnahmestress sind, dass sie gar keine Zeit haben, über andere Dinge nachzudenken und dann sehr dankbar sind, dass sie Dinge delegieren können.

00:25:33: Und Mädchen werden ja oft auch dazu sozialisiert, die Kehrarbeit zu übernehmen und springen dann ein und sind dann natürlich auch froh, einen Beitrag für die Familie zu leisten.

00:25:44: Aber das hat einen enormen Rattenschwanz an Konsequenzen und das bringt enorme Kosten mit sich.

00:25:50: und so war es auch bei mir.

00:25:52: Ich würde sagen, ich bin einer der weltbesten Krisenmanagerringern geworden und ich würde auch sagen, hätte ich egal welches Problem, ich würde eine andere älteste Immigrant-Daughter fragen, mir zu helfen, weil ich wäre sicher, die könnte das in fünf Minuten für mich lösen.

00:26:06: Also das ist wahnsinnig positiv.

00:26:08: Ich fühle mich für jede Situation gewappnet.

00:26:11: Ich bin sehr widerstandsfähig und resilient.

00:26:13: Aber es hat natürlich seinen Preis.

00:26:15: Ich habe viel zu früh Dinge gemacht und übernommen, die eigentlich nicht geeignet waren für Kinder.

00:26:23: Was das alles mit mir gemacht hat, das kam für mich erst nach und nach durch das Aufwachsen und Reflektieren ans Tageslicht.

00:26:32: Und nicht alles davon war Leihwand, um es auf Wienerisch zu sagen.

00:26:36: Aber ja, gut, ich habe das jetzt überstanden, ich habe das jetzt reflektiert und ich versuch das positive mitzunehmen für mich und auch für die Familie.

00:26:45: Man merkt im Buch so richtig auch der Einstieg, wie du halt quasi anspringst, wenn die Krise da ist.

00:26:50: Also ein bisschen so diese Normalzeiten, da gar nicht vielleicht weniger präsent zu sein oder sich da auch zu gönnen, sich ein bisschen rauszunehmen.

00:26:58: Aber in dem Moment, wo eine Krise da ist, eine Katastrophe, irgendwas passiert, bist du einfach da.

00:27:04: Und auch so hätte ich verstanden.

00:27:08: will etwas machen.

00:27:09: Und es ist auch ganz schwierig, wenn du dann in diesem System bist, in dem Fall jetzt in einem Krankenhaus und man gerade nichts machen kann, weil man halt selber kein Arzt ist oder nicht verantwortlich ist oder halt irgendwie an diesen systemischen Barrieren anstößt und dann muss man halt einmal warten und das hinnehmen, dass jetzt gerade gar nichts entschieden werden kann oder das nicht operiert werden kann und dass man selber auch in seiner Wirksamkeit und Handlungsmacht einfach eingeschränkt ist.

00:27:33: Das schien mir ganz, ganz schwierig.

00:27:35: Für die Ich-Erzählerin im Buch, wir wollen es jetzt nicht mit dir eins zu eins gleichsetzen, aber das kam mir so vor, war ganz, ganz schwierig auszuhalten, weil man einfach viel tun will in diesem Moment und einfach anspringt.

00:27:47: Also man ist einfach dann da, weil wie du sagst, die Krisenmanagerin in dir wird dann angesprochen.

00:27:51: Genau, so ist es.

00:27:52: Aber gleichzeitig zeigt dieser Anfangsszene im Buch auch sehr gut, dass man immer etwas tun kann, also genau in diesem Krankenhaus.

00:28:01: übernimmt die Erzählerin und du kannst auch gerne die, die zu ihr sagen, weil das ist ein autobiografisches Buch.

00:28:06: Also das bin tatsächlich ich.

00:28:09: Das Mädchen auf dem Cover bin ich und die Hauptperson bin auch ich.

00:28:12: Das Mädchen muss man kurz ein bisschen gern für alle, die es hören.

00:28:14: Das

00:28:15: Mädchen steht in so einem trotzigen...

00:28:17: Art und Weise mit zu verschränkten Armen.

00:28:20: Schaut so ein bisschen Stuhl in die Kamera,

00:28:22: das ist ein sehr

00:28:22: schönes Bild.

00:28:23: Genau.

00:28:24: Und wenn ich gleich dazu beschreibe, wie die Situation der Aufnahme war, können sich alle das, glaube ich, sehr gut bieglich vorstellen.

00:28:31: Klassische Situation.

00:28:33: Vater hat eine neue Kamera und sagt zur Tochter, na schau doch, Lechle doch ein bisschen.

00:28:39: Und meine Reaktion war darauf, die Arme zu verschränken und wiederwillig in die Kamera zu lächeln auf meiner eigene Art.

00:28:46: Genau.

00:28:47: Aber zurück zur Krankenhauszene.

00:28:50: Dort zeigt sich ja auch, was dann so eine ältes Immigrant-Dotter gleich einmal machen kann.

00:28:54: Sie kann übersetzen.

00:28:56: Sie kann den Vater begleiten.

00:28:58: Sie muss vor den Ärzten und Ärztinnen und dem medizinischen Personal souverän auftreten, weil ihr Auftreten reflektiert zurück auf die Familienmitglieder.

00:29:08: Das war auch immer unsere Erfahrung und vor allem meine Erfahrung.

00:29:12: Meine Eltern wurden ganz oft nicht ernst genommen, wenn sie zum Beispiel mit Behörden oder Ärztinnen Kontakt hatten.

00:29:19: Das wurde nicht ernst genommen.

00:29:21: Sie konnten sich nicht so gut ausdrücken.

00:29:23: Sie waren aus dem Ausland.

00:29:25: Ja, da kann man nichts machen.

00:29:27: Da müssen Sie warten.

00:29:28: Ich gebe Ihnen einen anderen Termin.

00:29:29: Bitte setzen Sie sich.

00:29:31: Wir nehmen andere Leute vor Ihnen dran.

00:29:33: Wenn aber ich daherkam.

00:29:35: mit meinem akzentfreien Hochdeutsch und meinem sehr seriösen Auftreten und dass ich dann auch schon die Sprachregister entsprechend wechseln konnte und vor allem verstanden hatte, dass ein souveränes Auftreten, das vielleicht auf den ersten Blick Autochton rüberkommt, also einheimisch sehr viel bewegen kann.

00:29:55: Und das habe ich super früh verstanden und dann wirklich ganz gezielt im Dienst meiner Familie eingesetzt.

00:30:01: Und so war es auch in dieser Szene im Buch, das ist ja auch tatsächlich so.

00:30:04: passiert, dass ich dann auch jeden Tag oder so gut wie jeden Tag für meinen Vater dort war, mit allen Ärztinnen gesprochen habe, mit dem Pflegepersonal gesprochen habe und ihnen gezeigt habe.

00:30:16: Da gibt es einen Familienverband dahinter, das ist nicht nur ein sprachloser Älterer her aus dem Ausland, sondern hier ist jemand, der in seinem Namen Partei ergreift, der sich in Erinnerung ruft und das in akzentfreiem Hochdeutsch.

00:30:31: In der Situation war es natürlich großartig, aber wenn man darüber nachdenkt, stimmt es mich trotzdem traurig, dass es das halt braucht, um anzuschieben, dass jemand das Sprachrohr ist für Menschen, die nicht sprechen können oder die sich nicht so gut ausdrücken

00:30:44: können.

00:30:45: Und überhaupt auch jetzt vielleicht auf der höheren gesellschaftlichen Ebene.

00:30:50: in den Lobby haben, weil das ist natürlich auch das ganz große Thema, das sind wir dann irgendwann auch bei der Frage einer politischen Lobby und haben Menschen, die nicht die Staatsbürgerschaft haben, was immer noch auf viele viele Personen zutrifft, in diesem Land eigentlich mehr werden.

00:31:04: Ja,

00:31:04: ich habe zum Beispiel auch keine Staatsbürgerschaft.

00:31:08: Und das ist einfach ein Faktum, dass, glaube ich, für viele Menschen, die sich weniger mit dieser Thematik befassen, unglaublich verstörend ist, weil bei dir, und da kommen wieder diese ambivalenten Zuschreibungen, bei dir würde man sagen, na gut, die würde man schon nehmen, weil die kann perfekt Deutsch und die sitzt irgendwie hier, die schaut doch aus wie wir und da haben

00:31:26: wir kein Problem,

00:31:27: das nehmen wir, aber bei den ganzen Flüchtlingen, das sind wir schon ein bisschen kritische und so weiter.

00:31:33: Ich bin ja auch der Meinung, dass das sehr viel aussagt darüber, was wir glauben, dass dieses Österreicher sein.

00:31:41: ist oder zu sein hat.

00:31:43: Und warum wir glauben, dass das so toll ist und so erstrebenswert.

00:31:46: Und dass fast jeder auf der Welt wahrscheinlich im Herzen will, eigentlich Österreicher sein.

00:31:50: Und deshalb müssen wir es ganz, ganz schwierig gestalten für viele Menschen, dass sie hier auch politisch zugehörig werden.

00:31:56: Und dann überhaupt die zweite Ebene, was würden die denn alle wählen?

00:31:59: Also was würde denn das überhaupt mit den Grundfesten der Republik machen?

00:32:03: Ich glaube, ich schwingt auch so ein bisschen eine Furcht vor diesem vermeintlich fremden Mit, dass er überhaupt nicht mehr fremd ist.

00:32:09: Aber ja, das spielt natürlich hinein.

00:32:11: Weil wenn du auf der politischen Ebene wirklich de facto keine Stimme hast, hast du halt natürlich auch niemanden, der deine Interessen vertritt in einer repräsentativen Demokratie.

00:32:20: Aber du bist auch uninteressant, weil du ja keine Wählerstimme abzugeben hast.

00:32:24: Also warum sollte sich die Politik um dich kümmern?

00:32:27: Und jetzt im Krankenhaus-Setting auch vielleicht im übertragenen Sinne, wenn du keine Lobby hast, niemanden, der für dich eintritt.

00:32:34: Na ja, dann kann man dich schon mal nach hinten rein.

00:32:36: Irgendwann wirst du... Ja,

00:32:37: da

00:32:37: kann man darüber fahren.

00:32:38: behandelt werden, aber vielleicht nicht priorisiert.

00:32:41: Also da schauen wir dann schon.

00:32:43: Das ist leider, glaube ich, auch eine Erfahrung, die jetzt bis in die Gegenwart noch nachwirkt.

00:32:47: Und dann kommen da auch noch so geschlechter Dimensionen hinein.

00:32:51: Also auch dieses wird man ernst genommen, wird man nicht ernst genommen.

00:32:55: Wie wird auch welche Form der Behandlung vorgeschlagen oder nicht vorgeschlagen?

00:33:00: Also ganz, ganz viele schwierige Themen eigentlich, mit denen man schnell auch allein gelassen wird.

00:33:09: Ich würde gerne noch über die Rezeption dieses Buches sprechen, weil mir aufgefallen ist, dass oder vielleicht Formuliermasur, es gibt jetzt zunehmend, weil einfach insgesamt natürlich die Gesellschaft eine Diversere wird und vor allem aber viele Menschen danach deiner Generation viel selbstverständlicher damit aufwachsen, dass sie natürlich hier zugehörig sind und dass sie auch diesen, wie gesagt, sozialen und gesellschaftlichen Aufstieg gemacht haben, aber sich auch trauen, eine Stimme zu haben.

00:33:40: Und das äußert sich dann in deinem Fall in der Literatur, aber auch Film und Fernsehen, Kultur im weitesten Sinne, wo wir jetzt einfach gerade in der Jünger... Generation viel mehr Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung haben, die auch sehr lautstark eintreten für das, was sie erlebt haben, aber auch für das, was sie fordern und brauchen im Umfeld.

00:33:58: Und dennoch wird das, finde ich, manchmal von dieser vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft, die sie in der Familie gar nicht gibt, da war jetzt so, mir fehlt ein besseres Wort, die Autochtonen.

00:34:07: Manchmal so total überraschend, so alles ist ihm ein Einzelfall.

00:34:10: Also sozusagen das, was du beschreibst, ist eine singuläre Erfahrung einer Familie, die als Gastarbeiter gekommen ist und wo eben die Tochter sich vielleicht entfremdet hat vom Vater und sich wieder annähern und so weiter.

00:34:25: Sehr interessant und das wird durchaus wohlwollend, finde ich, aufgenommen, aber mitunter noch so gesehen, als wäre das irgendwie eine Ausnahme.

00:34:33: Und dann ist die nächste Ausnahme die nächste.

00:34:36: Und mein Eindruck war stark, aber ich befasse mich halt beruflich mit dem Thema Migration.

00:34:40: Du beschreibst eine Erfahrung, die ganz, ganz viele Menschen in diesem Land gemacht haben, die dann vielleicht nicht als Familiensprache das Slovakisch haben, sondern jetzt aktuell wäre es vielleicht eher Arabisch oder anderes.

00:34:51: Wir haben viele Menschen nicht nur aus der PKS-Community, sondern darüber hinausgehend auch früher schon aus der Türkei stammend, die auch natürlich immer mit Unterschieden in der jeweiligen persönlichen Geschichte, aber grundsätzlich diese großen Themen, die du da explorierst, also diese Sprachlosigkeit, wie wir gesagt haben, diese Autorität.

00:35:10: Verlust der Generationen, Konflikte und so weiter.

00:35:14: Das ist doch eigentlich, ich will nicht sagen für eine Mehrheit, aber sicher nicht für eine Minderheit in Österreich zutreffen, sondern betrifft ganz, ganz viele Menschen und sind Themen, die aber dennoch so im größeren medialen und politischen Diskurs noch ganz wenig vorkommen.

00:35:30: Was macht diese Art der Rezeption mit dir, wo es auch so ein bisschen fast so.

00:35:34: Manchmal auch die Vorzeigemigrantin schwingt da wieder ein bisschen mit nicht.

00:35:38: Die toxische Promis hätte gesagt, das schöne Ausländerkind, den man halt auch nicht ansitzt, dass es ein Ausländerkind ist, weil es spricht wie wir und es sieht aus wie wir.

00:35:47: Das ist auch wieder sehr ambivalent, würde ich meinen.

00:35:53: Weil es anerkennt

00:35:54: natürlich deine Leistung trotz allem, die er für sich auch stehen kann

00:35:58: ohne die Erfahrungen.

00:36:03: Für mich ist in der Rezeption sehr, sehr spannend, dass... Also ich hab mit dem Roman unfassbar viele Zuschriften bekommen.

00:36:12: Darauf war ich gar nicht gefasst.

00:36:14: Also wirklich ganz, ganz, ganz, ganz viele Leute schreiben mir über Social Media, per E-Mail, teilweise sogar per Brief, woher auch immer die Leute, die meine Postatrice haben.

00:36:26: Und es sind so zwei Arten von Menschen.

00:36:30: Viele... schreiben natürlich naheliegend bezüglich der Migration, dass sie selber Migrationshintergrund haben oder ihre Eltern oder Großeltern und sie auf irgendeine Art und Weise das in der Familie haben und daraus Konflikte oder Challenges entstanden und sie fanden das ganz toll, dass das ein literarisches Werksicht im Wende.

00:36:48: Das war so die eine Seite, eben auch viele Leute von der BKS-Community oder mit türkischen Migrationshintergrund, die schreiben, wow, also anderer Kulturkreis, anderes Land, anderer Sprache, aber ja, genau.

00:37:00: ist es bei uns auch oder genau das habe ich auch erlebt.

00:37:03: Endlich spricht jemand darüber.

00:37:05: Das war so die eine Seite.

00:37:07: Und die andere Seite war wirklich viele Menschen, Autochtonerbevölkerung, also die einheimischen Österreicher und Österreicherinnen, die schreiben gar nicht in Bezug auf den Migrationsaspekt, sondern einfach das Emotionale, den Vater.

00:37:23: Wir alle haben Väter.

00:37:24: Sie schreiben, ja auch ich habe einen schwierigen verschlossenen Vater.

00:37:28: Auch ich habe Schwierigkeiten in der Beziehung zu ihm.

00:37:31: Wir sprechen nicht.

00:37:33: Da ist viel Distanz, da ist wenig Nähe.

00:37:35: Wir mussten uns das erarbeiten.

00:37:37: Es ist uns gelungen oder es ist uns nicht gelungen.

00:37:40: Und ich fand das eigentlich ganz spannend und das zeigt doch eigentlich die Stärke von Literatur, dass jeder sich da was finden kann.

00:37:47: Und genau das ist auch so wichtig, dass es diese migrantischen Stimmen und dieses migrantische Storytelling gibt.

00:37:56: Weil am Ende des Tages ist alles eine menschliche Erfahrung.

00:38:00: Also Lebens sind individuell, aber Erfahrungen sind dennoch kollektiv.

00:38:06: Und wir sind alle Menschen und wir haben alle eine Geschichte zu erzählen und finden uns wieder in den Geschichten der anderen.

00:38:12: Und ich glaube, das braucht es noch viel mehr.

00:38:14: Als ich klein war in den Neunzigern gab es gar nichts.

00:38:17: Es gab wirklich... gar nichts.

00:38:19: Und die Anweisung von meinen Eltern war auch, wir sprechen nicht darüber.

00:38:24: Wir sind ganz, ganz still.

00:38:26: Wir assimilieren nicht, wir integrieren, sondern wir assimilieren uns.

00:38:30: Wir reflektieren das gar nicht.

00:38:31: Wir streifen so viel wie möglich von unserer Herkunft ab und bemühen uns ganz stark und ganz schnell hier in Österreich anzukommen.

00:38:38: Wir wollen keine Probleme haben und wir wollen auch keine Probleme machen.

00:38:42: Das war das Credo.

00:38:43: Und ich habe eisen nicht viel meiner Identität richtiggehend unterdrückt, weil es auch mir ein Anliegen war, so rasch wie möglich hier anzukommen, weil ich ja auch tagtäglich gesehen, erfahren, gespürt habe, durch rassistische Erfahrungen, wie ungut es ist, wenn man als Anders erkannt wird.

00:39:01: Und ich wollte nicht als Anders erkannt werden.

00:39:04: Und habe es relativ rasch geschafft, auch weil ich die Sprache super gut, super schnell erlernen konnte, akzentfrei.

00:39:10: Das war mein großer Vorteil, dass ich dann ganz unauffällig mitschwimmen konnte.

00:39:14: Und ich habe das eben nicht mathematisiert, nicht reflektiert und habe dieses Kapitel für mich geschlossen.

00:39:21: Und habe dann aber viele, viele Jahre später gemerkt, wie es natürlich rumordt.

00:39:26: Man kann solche Kapitel nicht schließen.

00:39:29: Ein Mensch hat viele Facetten, ein Mensch hat oft viele Herkünfte.

00:39:33: darüber nicht zu sprechen ist einfach keine Lösung.

00:39:35: Und ich habe dann für mich gemerkt, okay, ich möchte da einmal drüber sprechen.

00:39:41: Und das Ergebnis ist jetzt dieser Roman, dieser autobiografische Roman.

00:39:46: Und es ist ein wirklich schöner Full Circle Moment für mich, weil das jetzt Anlass ist für ganz viele Menschen.

00:39:54: mit mir über ihre Erfahrungen zu sprechen, wie es ihnen ergangen ist und dass eine super Plattform ist, um weiter zu arbeiten.

00:40:01: Und ich finde es auch ganz großartig, dass es heutzutage auch migrantische Medien gibt, wie den Biber oder die Chefredaktion, dass vor allem die jungen Leute viel mehr darüber sprechen.

00:40:11: Genau das braucht es auch.

00:40:12: Wir müssen da auf eine normale unpolemische Art über diese Dinge sprechen.

00:40:18: in den Neunzigern und in den Nullerjahren.

00:40:22: war Migration und Flucht ja nur ein reines politisches Kampfthema.

00:40:26: Also entweder wurde nicht darüber gesprochen oder es wurde gleich instrumentalisiert und missbraucht und es braucht aber das ganze dazwischen.

00:40:34: Es braucht das normale drüber sprechen und das finde ich ist wichtig und richtig, dass das jetzt immer mehr passiert.

00:40:42: Ich glaube auch, dass es Ganz stark, oder das hat dich den Eindruck beim Lesen des Buches, dass man von der ersten Generation, die die selber diese Migrationserfahrung machen, man fast zu viel verlangen würde.

00:40:54: wenn sie hier ankommen sollen, sich hier orientieren sollen, Sprache lernen, irgendwo wieder mehr oder weniger an die berufliche Karriere, die sie hatten, anschließen, auch wenn sie meistens eh nicht gelingt und so weiter.

00:41:05: Und dann sollen sie das aber noch verarbeiten und zum Ausdruck bringen und lobbyieren und sich einsetzen und engagieren und so weiter.

00:41:12: Da ist man mit dem Nackten überleben befasst.

00:41:14: Und deshalb natürlich auch das Verständliche.

00:41:16: Besicht vielleicht wird da viel projiziert auf die zweite, dritte Generation, die dann diejenige ist, und das zeigt sich jetzt sehr gut, die halt auch eine gewisse soziale finanzielle Zeitrennung.

00:41:28: Absicherung erlangen konnte, die es auch geschafft hat, die auch viel mehr als zugehörig wahrgenommen wird als noch die Eltern und die deshalb aber auch vielleicht das Privileg, den Luxus, die Möglichkeit, nennen wir es wie wir wollen, haben, das auch auszusprechen, weil sie einerseits selber abgesichert sind, da steht vielleicht ein bisschen weniger auf dem Spiel, aber auch tatsächlich, das bringt mich zurück zu der Sprachlosigkeit.

00:41:53: Jetzt nicht nur im Sinne von, weil sie Deutsch können, eine Sprache dafür haben, aber auch, weil sie natürlich aufgrund des Bildungshintergrundes und so weiter beschreiben können, was die Prozesse sind, die da geschehen.

00:42:03: Also du hast jetzt so Konzepte genannt wie Patonalisierung oder die älterst immigrant data und so weiter.

00:42:09: Das ist eine Konzeptlosigkeit, die da in der Generation deiner auch meiner Eltern tatsächlich herrscht.

00:42:15: Weil ich habe die Erfahrung ähnlich gehabt, wie viele deiner Autochtonen Schreiber innen.

00:42:19: Ich habe keinen Leserbrief geschrieben, verbost.

00:42:22: Aber ich habe es dir vorhin schon gesagt, ich habe mich auch in dieser Beziehung zum Vater sehr widerkannt, weil da ist etwas, wie wir uns wahrscheinlich in der Forschung intersectional oder wie auch immer nennen, das geht halt über die Migrationserfahrung hinaus.

00:42:35: Das ist eine menschliche Erfahrung und das ist auch wahrscheinlich eine generationale Erfahrung.

00:42:41: Das ist eine Erfahrung von... Patrickat und was patriarchale Verhaltensweisen mit uns machen.

00:42:48: Und da ist natürlich viel, viel mehr drinnen als jetzt nur unter Anführungszeichen die Migration.

00:42:53: Aber die natürlich auch dann ganz stark wird, fand ich, wenn es um diese Fragen von Zugehörigkeit und Verordnung in der Welt geht.

00:43:05: Also da war es irgendwie schon sehr stark spürbar für mich.

00:43:08: Vielleicht zum Abschluss noch ganz kurz, du hast es schon angesprochen, die diese Politisierung des Themas.

00:43:14: Auf der einen Seite ja, in den Neunzigern war eine Zeit, Österreich unter Jörg Heider, wo das Thema ganz, ganz stark auf die Agenda gehoben wurde und wo so Stimmen wie die Deine, wahrscheinlich gar noch nicht möglich waren vielleicht, weil es einfach diese längere Zeit braucht, auch dieses Ankommen hier.

00:43:30: Gleichzeitig sehen wir jetzt, ich würde sagen nicht nur in Österreichern, nicht nur in Europa, sondern global, dass natürlich Migration wieder zu einem Kampfthema geworden ist, zu einem ganz starken Kampfthema.

00:43:40: Es sind jetzt andere Gruppen und auch vielleicht aufgrund der Globalisierungsprozesse in den letzten Jahrzehnten von weiter herkommend.

00:43:49: Aber es sind jetzt, vor allem würde ich sagen, Personen aus dem mittleren Ost, aus dem arabischen Raum, die noch nicht in der zweiten, dritten Generation hier sind und das artikulieren können, was du jetzt für deine Migrationserfahrungen in der Familie artikulieren kannst und die auch vielfach dann deshalb zu Objekten im Diskurs werden, über die viel gesprochen wird, aber die selber immer noch viel zu wenig zu Wort kommen.

00:44:13: Teilweise auch gar nicht zu Wort kommen wollen sich nicht trauen oder eben von dieser Sprachlosigkeit betroffen sind.

00:44:19: Ja, da vielleicht und ich überlege jetzt laut eine positive Zukunftsvision, etwas was uns Hoffnung schenken kann, dass es auch sehr bald eigentlich jetzt schon eine zweite, dritte Generation geben wird, zum Beispiel viele syrischstämmige Kinder, die hier geboren sind, hier aufgewachsen sind, die dann in zehn, zwanzig Jahren vielleicht sich ähnlich ausdrücken können, in ähnlicher Weise auch das verarbeiten können, künstlerisch, wissenschaftlich wie auch immer, was ihre Eltern durchgemacht haben, wer das eine Vision, die uns vielleicht auch was anderes an Perspektive mitgibt in dieser Einwanderungsgesellschaft, dass wir jetzt haben, diese Abschottung, das braucht.

00:45:00: Ja, das ist auf jeden Fall möglich, das kann ich mir gut vorstellen.

00:45:04: Ich glaube aber, was es grundsätzlich auch braucht, ist Ehrlichkeit in diesem Diskurs.

00:45:10: Die Einwanderungsdebatte in Österreich wird schon sehr, sehr lange geführt und sie wird sehr negativ geführt und es wird immer mehr so als PS dazu gesagt, naja gut Österreich ist schon ein Einwanderungsland und eigentlich könnten wir den Bevölkerungsstand aus eigener Kraft nicht halten.

00:45:27: Wir brauchen den Zuzug, wir brauchen die Arbeitskräfte und wir wollen vor allem die qualifizierten Arbeitskräfte und diese zwei Informationen werden aber selten.

00:45:36: ehrlich zusammengeführt, nämlich man kann nicht nur auf der ablehnenden Bremse stehen und gleichzeitig kann nicht gleichzeitig wahr sein, dass der Wohlstand Österreichs auf ausländischen Arbeitskräften aufgebaut wird.

00:45:49: Das muss man einfach auch mal zusammenbringen und auch politisch unter einfach sagen, das ist so, wir brauchen das und wir wollen das und jetzt schauen wir, wie wir da gute Lösungen für den Alltag finden.

00:46:01: Ich glaube, das wäre mal ganz, ganz wesentlich.

00:46:04: Das wäre eigentlich das pragmatische,

00:46:05: finde ich, nicht diese

00:46:07: Form der Abschreckung und Abschottungsmaschinerie, die man betreibt.

00:46:11: Weil dann muss man sich nur den nackten Zahlen ansehen, wie du sagst.

00:46:14: Und nicht nur sozusagen zahlen, wer ist hier, sondern auch, wie werden die Leute hineingelassen, nicht?

00:46:19: Also das ist Potenzial, dass ja weit über jetzt dreien wirtschaftliches Kapital hinausgeht, das Potenzial auch an Menschen, dass man eigentlich liegen lässt und in Kauf nimmt, dass es brach liegt.

00:46:29: Und dass dann auch solche Erfahrungen generiert, die du natürlich beschreibst.

00:46:33: Buch.

00:46:35: Vielleicht zum Abschluss eine Frage, die ich fast all meinen Gästen stelle und bei dir möchte ich es gerne koppeln.

00:46:41: Ich will dich einerseits fragen, was dir Hoffnung gibt.

00:46:43: Ich würde es aber koppeln an eine andere Frage, weil das in deinem Buch auch, finde ich, so ein Topos ist.

00:46:49: Die Frage von Heimat.

00:46:51: Was ist für dich Heimat?

00:46:52: Was glaubst du, ist für deinen Vater Heimat gewesen oder geblieben oder geworden?

00:46:58: Und wie ist diese dieses Projektieren in die Zukunft von einer Heimat, die wir uns hier schaffen werden, aber die irgendwo dann auch immer ein bisschen unerreicht bleibt, zumindest in der eigenen Generation.

00:47:13: Wie wirkmächtig ist das?

00:47:14: Was macht das, glaubst du, mit der Generation deiner Eltern, aber auch mit vielen anderen Menschen?

00:47:20: Ich glaube, dass meine Eltern und vor allem meinen Vater noch sehr nationalstaaten Konzepte gekoppelt sind.

00:47:27: Und ich glaube, es so leid, dass mir tut, dass mein Vater wirklich seine Heimat verloren hat.

00:47:31: Also er hat die wirklich aufgegeben und das Versprechen der neuen Heimat in Österreich hat sich für ihn nie wirklich auflösen können.

00:47:38: Also er wohnt hier, sein Lebensmittelpunkt ist da, unsere Familie ist hier, es geht uns gut, es sind alle gerne hier.

00:47:45: Aber für ihn... Das emotionale Zentrum ist nie herangekommen, weil er nicht angekommen ist, weil er nicht angenommen wurde.

00:47:54: Das ist einfach schade, aber das ist jetzt so.

00:47:57: Und ich glaube, ein wesentlicher Unterschied zu mir und meiner Generation und auch zur Generation meines Bruders ist, dass wir uns nicht mehr so an diese Länder ketten.

00:48:08: Also ich sehe mich... als Europäerin und noch viel mehr als EU-Bürgerin.

00:48:13: Also wenn ich meine Staatsbürgerschaft abgeben könnte, um eine europäische Staatsbürgerschaft zu bekommen, ich würde das sofort machen.

00:48:22: Und in Gesprächen mit Gleichaltricken merke ich, dass das wirklich die Tendenz ist von der jüngeren Generation, dass sie wegwollen von diesen starren engen nationalen... Konzepten.

00:48:36: Bist du jetzt Österreicher?

00:48:37: Bist du Türke?

00:48:38: Bist du dies das Ananas?

00:48:40: Sondern sie sehen sich als Europäer erinnern, weil es hier auch um eine gemeinsame Geschichte gibt, um eine gemeinsame Soziokultur, um dieses gemeinsame Hineinwachsen vor allem in die EU.

00:48:51: Das haben wir uns hart erkämpft.

00:48:53: Das ist wirklich auch eines der größten.

00:48:56: weltweiten Friedensprojekt und darauf können wir stolz sein.

00:48:59: Und ich finde es sehr schade, dass so viel negativ auf der EU herumgeritten wird.

00:49:04: Also sie hat natürlich ihre Mängel, keine Frage.

00:49:07: Aber das ist ein ganz großartiges Projekt und da fühlen sich viele junge Leute dem zugehörig.

00:49:13: Und ich glaube, es wird in diese Richtung gehen.

00:49:17: Ich bin grundsätzlich sehr positiver Dinge, weil immer mehr Stimmen zu hören sind, immer mehr diverse Stimmen kommen rein in dieses große europäische Lied und trauen sich was zu sagen und werden gehört.

00:49:30: Und ich glaube, das ist immer der erste Schritt für Veränderung, dass jemand spricht und jemand andere zuhört.

00:49:37: Ich glaube tatsächlich in dieser jetzt sich verhärteten restriktiven Grenzpolitik zeigt sich noch einmal so dieses letzte Aufbäumen des Nationalstaats, weil an der Grenze kann der Nationalstaat noch zeigen, wer er ist und was

00:49:49: er kann.

00:49:50: Genau.

00:49:50: Weil dort kann er hart

00:49:52: durchgreifen.

00:49:52: So ist es.

00:49:53: Und gleichzeitig aber kommt er von beiden Seiten, glaube ich, unter Druck.

00:49:56: Einerseits die supranationale europäische Ebene, aber auch ganz stark die lokale Ebene.

00:50:01: Weil ich nehme wahr, wenige würden sehr selbstbewusst sagen, ich bin Österreicherin, Österreich ist schwierig.

00:50:08: Wienerin.

00:50:09: ist man gerne und schnell und dieses lokale bis hin zum Gretzel oder wie auch immer, da ist noch viel Identität da und auch viel Angebot zur Identifizierung aus meiner Sicht, dann das Nationalstaatliche lasst man aus und dann ist man bei Europa.

00:50:23: Und von beiden Seiten erhöht sich dadurch der Druck, finde ich, auf den Nationalstaat.

00:50:28: glaube ich, ist es gar nicht widerspüchlich, sondern nur folgerichtig, dass wir gleichzeitig eine vermeintliche Nationalisierung sehen, auch im Sinne von Souveränität und Grenzen und so weiter.

00:50:39: Aber wir kennen das ja auch nicht.

00:50:40: Das wird ja mit Blick auf Patriarchat auch immer das letzte Aufbäumen beschrieben.

00:50:44: Da muss man halt vielleicht auch durch.

00:50:46: Aber der lange Atem der Geschichte scheint mir auch eher in Richtung eines supranationalen Identitätsangebotes zu zeigen.

00:50:53: Sehr schön.

00:50:54: Schöne Schlusswort, glaube ich.

00:50:55: Vielen Dank, liebe Didi, dass du heute mein Gast warst.

00:50:57: Ich habe mich sehr darüber gefreut.

00:50:59: Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, deshalb wärmste Empfehlung.

00:51:02: Ich wünsche ihm ganz, ganz viel Erfolg, dass es weit rezipiert wird.

00:51:07: Wir haben ja besprochen, dass man da ganz unterschiedliche Dinge hineinlesen kann, im positivsten Sinne, weil es eben nicht nur eine Migrationsgeschichte ist.

00:51:16: Im Gegenteil, es ist eine zutiefst menschliche Geschichte, die du erzählst.

00:51:19: Und die auch gleichzeitig finde ich schon auch eine österreichische.

00:51:22: Geschichte ist.

00:51:23: Das meine ich jetzt ganz, ganz positiv und da kommt, glaube ich, unabhängig für die Nationalstadt noch einmal so eine Mentalitätsfrage hinein und werte Frage, weil das ist halt auch eine österreichische Erfahrung, die hier reflektiert wird.

00:51:37: In dem Sinne vielen Dank für deine Zeit und dass du heute mein Gast warst.

00:51:40: Danke für das schöne Gespräch.

00:51:42: Und bei euch bedanke ich mich auch, dass ihr wieder mit dabei wart und ich freue mich, wenn ihr in der nächsten Folge wieder zuhört.

00:51:48: Tschüss und Papa.

00:51:55: Vielen Dank fürs Zuhören.

00:51:56: Wenn euch diese Folge gefallen hat, abonniert.

00:51:58: Aufnahme bereit auf Spotify oder allen anderen gängigen Podcast-Plattformen und folgt Judith Kohlenberger und der Chefredaktion auf ihren Social-Media-Kanälen.

00:52:09: Fragen, Anregungen und Beschwerden an Aufnahmebereit.at, wu.ac.at.

00:52:15: Alle Infos findet ihr auch in den Shownotes.

00:52:17: Bis zum nächsten Mal.

00:52:25: Aufnahme bereit, wird ermöglicht durch eine Förderung des Wissenschaftsvermittlungs-Calls vom Wissen der vielen, der MA-Sieben, der Stadt Wien.

00:52:34: Dann kann die KooperationspartnerInnen von Die Chefredaktion und der Podcastwerkstatt.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.